AG Hadamar, Urteil vom 20.12.1994, 3 C 420 / 94 (Hadamarer Kartoffelwurf)

potato-544073_1920Vor langer, langer Zeit besaß ein Mann, nennen wir ihn Hubert, ein Grundstück. Dieses lag an einer Straße. Und weil das so praktisch war, hatte er auch eine Einfahrt auf sein Grundstück. Nun kam aber ein anderer Autofahrer, nennen wir ihn Hans, und wendete mit seinem Auto des öfteren auf der Straße. Dabei benutzte er die Einfahrt des Hubert und fuhr für einige Sekunden auf diese hinauf.

Den Einfahrteigentümer Hubert ärgerte das, und zwar sehr. Darum sagte er dem Hans, er möge doch woanders wenden. Den Hans aber interessierte das nicht. Es interessierte ihn sieben Monate lang nicht.

Nach diesen sieben Monaten war Hubert dann völlig außer sich. Denn Hans wendete schon wieder in seiner Einfahrt, noch dazu direkt vor seinen Augen. Hubert wusste nicht so recht, was er machen sollte. Und da fiel wohl sein Blick auf die rohen Kartoffeln, die um ihn herum lagen. Vielleicht wollte er sie schälen oder auch gerade kochen. Aber weil er sich nicht anders helfen konnte, nahm er einen Kartoffel und warf ihn auf das Auto.

Und er traf und es knallte und schon war eine große Delle im Auto entstanden. Da ärgerte sich der Hans, denn er hatte nicht gerne Dellen im Auto. Noch mehr ärgerte sich aber der Reimund, denn dem gehörte das Auto. Und der ging nun zum Hubert und verlangte von ihm, dass er ihm die Reparatur zahlen soll. Weil der Hubert das aber gar nicht wollte, trafen sich alle drei vor Gericht. Und der Richter, den nennen wir Yazid, der musste nun entscheiden, wer hier Recht hatte.

Nun werden wir ganz prosaisch.

potato-1653301_1920Richter Yazid musste entscheiden, ob es einen Schadenersatzanspruch des Eigentümers gegen den Schädiger gab. Hierfür boten sich folgende Anspruchsgrundlagen an:

  • § 823 Abs. 1 BGB (Eigentumsverletzung)
  • § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 303 StGB (Verletzung eines Schutzgesetzes, hier des Verbots der Sachbeschädigung)
  • § 826 BGB (vorsätzliche sittenwidrige Schädigung)

Diese haben aber alle die Voraussetzung gemeinsam, dass die Beschädigung rechtswidrig sein muss. Nun ist grundsätzlich rechtswidrig, das Eigentum einer anderen Person zu beschädigen, das muss man also nicht extra feststellen.

Hier könnte das aber anders sein. Denn möglicherweise hat der kartoffelwerfende Hubert in Notwehr gehandelt. Das mag manchen überraschen, denn Notwehr wird landläufig nur als Gegenwehr bei körperlichen Angriffen verstanden. Im Recht hat Notwehr aber einen viel weiteren Anwendungsbereich.

§ 227 BGB – Notwehr
(1) Eine durch Notwehr gebotene Handlung ist nicht widerrechtlich.
(2) Notwehr ist diejenige Verteidigung, welche erforderlich ist, um einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff von sich oder einem anderen abzuwenden.

potatoes-411975_1920„Angriff“ umfasst dabei einen Angriff auf jedes Rechtsgut, also auch auf das Eigentum. Und das Befahren eines fremden Grundstück ist ein Angriff auf das Eigentum an diesem Grundstück. Das gilt auch dann, wenn die Einfahrt nicht durch einen Zaun, eine Kette oder ähnliche Vorrichtungen versperrt ist. Ein Einverständnis mit dem Befahren folgt daraus nicht und der Eigentümer ist auch nicht verpflichtet, auf seine Kosten solche Maßnahmen zu ergreifen.

Dass das Auto nicht dem Fahrer gehörte, war insoweit auch nicht von Bedeutung. Denn die Abwehr richtete sich unmittelbar gegen die Person, die gerade das Grundstück befuhr. Ob das Auto nun dem Hans oder dem Reimund gehörte, konnte Hubert nicht wissen und musste er auch nicht berücksichtigen.

Schließlich hätte es noch sein können, dass diese Form der Notwehr nicht erforderlich war. Das ist nur dann der Fall, wenn es ein milderes Mittel gegeben hätte, um den Angriff zu beenden. Nun beendet der Kartoffelwurf das Befahren des Grundstücks nicht sofort, er appelliert nur an den Fahrer, das Weite zu suchen. Das könnte man auch durch weniger rabiate Maßnahmen erreichen. Dazu schreibt das Gericht aber:

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Insoweit ist weiter zu beachten, daß seine Versuche, die Zeugen durch Zurufe oder Gestikulieren und ähnliche Maßnahmen vom Wenden auf dem Grundstück abzuhalten, sich als nicht erfolgversprechend erwiesen hatten. (…) Es war für ihn deshalb objektiv erforderlich, nunmehr zu einem massiveren und für den Angreifer deutlicher wahrnehmbaren Abwehrmittel zu greifen, um künftige Eingriffe ein für allemal zu verhindern.

Im Ergebnis bedeutet das also: Notwehr ist gegeben, damit war der Wurf rechtmäßig und die Beschädigung nicht rechtswidrig. Also kein Schadenersatz für Reimund.

Allerdings handelte es sich dabei, wie immer vor Gericht, um eine Einzelfallenscheidung. In einem anderen ähnlichen Fall könnte ein anderer Richter zu einem anderen Ergebnis kommen. Denn Juristen sind bekanntlich Erbsenzähler. Auch, wenn es um Kartoffelwerfer geht.

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