Der Hauptmann von Köpenick ist wohl jedem ein Begriff. Ein kleiner Krimineller, der doch nur resozialisiert werden will, spielt in seiner Not einen verdienten preußischen Soldaten und hält dadurch seiner Zeit den Spiegel vor. Die Geschehnisse sind echt, jedoch ist durch die literarische und filmische Bearbeitung ein Bild entstanden, das sicher nicht hundertprozentig die Realität abbildet.
Heute wollen wir uns das Originalurteil ansehen. Dieses wurde ungekürzt übernommen, es wurden lediglich einige – der im Vergleich zu einem heutigen Urteil wenigen – Tippfehler korrigiert und gelegentlich Absätze eingefügt, die die Lesbarkeit erhöhen sollen.
Urteil des Königlichen Landgerichts II in
Berlin vom 1.12.1906
II 2 f L.3.Nr.58.06.156
Dieses Aktenzeichen erschließt sich nur noch besonders Eingeweihten. Die führende römische Ziffer II könnte Landgericht II und die spätere Zahl 3 die dritte Strafkammer meinen. Heute ist die Nummerierung anders, man würde bspw. „Landgericht II, Az. 3 KLs 123 Js 456789/06“ schreiben.
IM NAMEN DES KÖNIGS!
Im Namen des (preußischen) Königs, natürlich. Im Namen des Volkes ergingen die Urteile erst in Weimarer Zeiten.
In der Strafsache gegen den Schuhmacher Friedrich Wilhelm Voigt, zu Berlin in Haft, geboren am 13. Februar 1849 zu Tilsit, evangelisch,
wegen Betruges, Urkundenfälschung u.s.w.
hat die dritte Strafkammer des Königlichen Landgerichts II in Berlin in der Sitzung vom 1. Dezember 1906 an welcher teilgenommen haben:
Landgerichtsdirektor Dietz als Vorsitzender,
Landgerichtsrat Örtel
“ Schreiber
Amtsrichter Buckow
Gerichtsassessor Dr. Blumenrathals beisitzende Richter,
Ja, zu diesem Zeiten haben die Strafkammern, die für die gesamte „mittelschwere Kriminalität“ zuständig waren, tatsächlich mit fünf Richtern entschieden. Am Justizpersonal hat man damals noch nicht gespart, wahrscheinlich hat man eine möglichst große Zahl von Staatsdienern auch für stabilisierend gehalten. Heute würde die Sache wohl eher beim Schöffengericht des Amtsgerichts landen – hier entscheidet ein Berufsrichter zusammen mit zwei Schöffen, also ehrenamtlichen Richtern.
Erstem Staatsanwalt Wagner als Beamter der Staatsanwaltschaft,
Referendar Dr. von Hassel als Gerichtsschreiber,
für Recht erkannt:
Der Angeklagte ist des unbefugten Tragens einer Uniform, des Vergehens wider die öffentliche Ordnung, der Freiheitsberaubung, des Betruges und der schweren Urkundenfälschung, alles verübt im rechtlichen Zusammenhang, schuldig und wird deshalb zu einer Gefängnisstrafe von 4 – vier – Jahren verurteilt.
Ganz am Anfang kommt – wie heute – die Urteilsformel. Man sieht also gleich, was rauskommt. Der Einschub „alles verübt im rechtlichen Zusammenhang“ weist darauf hin, dass es sich juristisch betrachtet nicht nicht bei allen genannten Straftaten um einzelne Taten handelte, sondern in einem Gesamtzusammenhang mehrere Straftaten gleichzeitig verübt wurden. Darum wurde auch für dieses Gesamtpaket nur auf eine Strafe erkannt.
„Gefängnis“ bedeutete dabei eine mittelschwere Freiheitsstrafe, unangenehmer als die bloße Haft, aber leichter als Zuchthaus. Heute kennen wir nur noch eine einheitliche Freiheitsstrafe.
Er trägt die Kosten des Verfahrens.
Die von dem Angeklagten bei der Straftat getragenen militärischen Ausrüstungsgegenstände werden eingezogen.
Die verwendete Uniform durfte der „Hauptmann“ also leider nicht behalten.
Gründe:
Der Angeklagte ist als Sohn eines Schuhmachermeisters in Tilsit geboren, hat dort die Volksschule und die unteren Klassen einer Realschule besucht und ist sodann 3 Jahre bei seinem Vater in der Lehre gewesen. Als Knabe hat er sich viel in der seiner elterlichen Wohnung benachbarten Kaserne des dortigen Dragonerregiments aufgehalten und hat durch Beobachtung des militärischen Verkehrs und Treibens eine gewisse Vertrautheit mit den soldatischen Umgangs- und Dienstformen gewonnen.
Von seinem 14. Lebensjahre ist er wiederholt wegen Diebstahls, schließlich im strafschärfenden Rückfalle, bestraft. Er hat dann im April 1867 wegen einer Reihe von Urkundenfälschungen eine zehnjährige Zuchthausstrafe erhalten, welche er nebst einer für eine Geld-Nebenstrafe von 1500 Thalern substituierten weiteren Zuchthausstrafe von 2 Jahren bis 1879 verbüßt hat. Sodann hat er sich zehn Jahre lang im In- und Auslande teils als Schuhmacher teils in anderen Erwerbszweigen ernährt, ist auch in Böhmen verheiratet gewesen und hat sich während dieserZeit, soweit bekannt, straflos geführt.
In den Jahren 1889 bis 1890 hat er wegen Diebstahls und intellektueller Urkundenfälschung eine Strafe von 13 Monaten Gefängnis erlitten. Im Februar 1891 ist er vom Landgericht Gnesen wegen schweren Diebstahls im Rückfalle zu 13 Jahren Zuchthaus, Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte auf 10 Jahre und Zulässigkeit von Polizeiaufsicht verurteilt. Er war zusammen mit dem jetzigen Zeugen Cigarrenmacher Kallenberg dabei ergriffen, als beide mit Brechstangen und Schußwaffen versehen die Gerichtskasse in Wongrowitz erbrochen hatten. Am 12. Februar 1906 wurde der Angeklagte nach Verbüßung seiner Strafe aus dem Zuchthaus in Rawitz entlassen. Sein Arbeitsverdienst aus der Strafzeit betrug etwa 223 Mark. Durch die Vermittlung des Anstaltsgeistlichen Banner fand er Beschäftigung als Schuhmachergeselle bei dem Hofschuhmacher Hilbrecht in Wismar. Dort wurde er trotz seiner dem Hilbrecht und seinen Angehörigen bekannten schweren Vorstrafen gut aufgenommen, erwies sich als ein geschickter, fleißiger, zuverlässiger Arbeiter und erwarb sich auch als Hausgenosse die volle Zuneigung und Achtung des Hilbrecht und der Familienangehörigen desselben. Diesem Zustand wurde aber im Mai 1906 durch eine von der Wismarer Polizeibehörde verfügte Ausweisung ein Ende gemacht.
Nach einigen vergeblichen Versuchen, in Gradenz und Potsdam passende dauernde Arbeit zu erhalten, kam der Angeklagte nach Berlin, fand Unterkunft bei seiner in Rixdorf lebenden Schwester Frau Manz und lohnende Beschäftigung in einer Schuhwarenfabrik in der Breslauerstraße. Diese Beschäftigung behielt er zunächst auch dann noch bei, als er eine Verfügung des Berliner Polizeipräsidenten empfing durch die er aus dem Berlin und die Vororte umfassenden Bundespolizeibezirk ausgewiesen wurde; jedoch zog er nunmehr von seiner Schwester zu einer Frau Karpehr in Berlin, Langestraße 22 in Schlafstelle und bewog seine Wirtin, ihn nicht anzumelden.
Eine sehr sorgsame Darstellung seines Vorlebens. Dies gehört stets zu einem Urteil, da die Persönlichkeit des Angeklagten – auch heute noch – für die Strafzumessung von erheblicher Bedeutung ist. Diese besondere Ausführlichkeit lag sicher auch noch daran, dass die Vorstrafen in vielerlei Hinsicht eine Rolle spielten.
Der Angeklagte hat nun einen Plan wieder aufgenommen, mit dem er sich schon früher beschäftigt hat. Im Zuchthause zu Rawitz, wo er zugleich mit Kallenberg seine vorerwähnte Strafe verbüßte, hatte er sich zu diesem wiederholt ungefähr dahin geäußert, „wenn man ein Paar Soldaten habe, könne man damit Geschäfte machen“. Da ihm nun in Folge der Ausweisungen die Aussicht auf einen dauernden ehrlichen Erwerb erheblich erschwert war, so kam er auf seinen früheren Plan zurück, in der Verkleidung als Offizier Militärmannschaften unter seine Führung zu bringen und damit einen gewinnbringenden Handstreich zu unternehmen. Er unterrichtete sich über die Ablösung gewisser, nur unter Führung von Gefreiten in abgelegenem Gelände bei Berlin verkehrende Wachmannschaften, traf ferner seine Auswahl unter solchen bei Berlin gelegenen kleineren Städten, in denen er sich mit Hilfe von Wachmannschaften des Rathauses bemächtigen zu können glaubte, und entschied sich – nachdem er anfangs sein Augenmerk auch auf Oranienburg und Bernau gerichtet hatte – schließlich für Köpenick. Ferner kaufte er bei verschiedenen Händlern in Berlin und Potsdam Anzug, Mantel und sonstige Ausrüstungsgegenstände eines Hauptmanns vom 1. Garderegiment zusammen.
Diese Uniform legte er am 15. Oktober abends in der Jungfernheide an, fuhr am 16. Oktober mit dem ersten Frühzuge nach Köpenick, unterrichtete sich hier über die Örtlichkeit, fuhr dann nach dem Bahnhof Putlitzstraße zurück, verbrachte den Rest des Vormittags in einer Gastwirtschaft in Plötzensee und begab sich kurz nach Mittag mit umgelegter Feldbinde an denjenigen Weg, den die abgelöste Wache vom Schießstand passieren mußte.
Zunächst kam jedoch eine vom Gardefüsilierregiment gestellte Schwimmanstaltswache von 3 Mann unter der Führung des Gefreiten Klapdohr (als vierten). Er hielt diese Wache an, erfuhr, daß die abgelöste Wache vom Schießstand demnächst komme, und befahl, diese schnell herbeizuholen. Klapdohr hielt den Angeklagten, der die Haltung und das Benehmen eines Offiziers zeigte, für einen solchen und holte die abgelöste Schießstandswache, welche aus dem Gefreiten Muche und 5 Mann vom Garderegiment zu Fuß bestand, herbei. Nun machte der Angeklagte den Klapdohr zum Abteilungsführer der vereinigten Wachen und erklärte den beiden Gefreiten, daß er auf Allerhöchsten Befehl komme und daß sie und die Mannschaften ihm zum Bahnhof Putlitzstraße zu folgen hätten. Auf dem Bahnhofe eröffnete er den Mannschaften, daß er sie nach Köpenick führen werde, löste für sie Fahrkarten 3. Klasse, für sich selbst eine zweiter Klasse und fuhr dann mit den Soldaten über Rummelsburg, wo er ihnen auf dem Bahnhof Getränke verabfolgen ließ, nach Köpenick. Dort ließ er die Soldaten auf dem Bahnhof Mittag essen, ließ sie dann antreten, das Seitengewehr aufplannen, die Schuppenketten niederlassen, und erklärte ihnen, daß er den Bürgermeister und vielleicht noch andere Herren verhaften werde.
Vor dem Rathause angelangt, ließ er durch die vier Gardefüsiliere das Hauptportal und die zwei Nebeneingänge besetzen. Den Gefreiten Huche und einen Gemeinen vom 4. Garderegiment ließ er auf dem unteren Flur mit dem Befehl, dafür zu sorgen, daß die im Rathaus befindlichen Leute in ihren Zimmern blieben; jeder Verkehr derselben miteinander und auf den Korridoren sei zu verhindern; wenn jemand etwas dringendes hätte, so müßte ihn ein Posten begleiten.
Mit den übrigen 4 Soldaten vom 4. Garderegiment begab sich der Angeklagte in den ersten Stock. Dort betrat er das durch ein Schild bezeichnete Zimmer des Oberstadtsekretärs Rosenkranz, fragte diesen, wer er sei, und erklärte ihm: „Im Namen Seiner Majestät, Sie sind verhaftet.“ Zwei Soldaten ließ er an seiner Tür mit dem Befehl, jeden Verkehr des Rosenkranz nach außen hin zu verhindern. Rosenkranz ist durch diese Maßregel ungefähr von 3 ½ bis gegen 6 Uhr Nachmittags am Verlassen des Zimmers und am Verkehr mit der Außenwelt verhindert gewesen.
Sodann begab sich der Angeklagte, gefolgt von den zwei übrigen Soldaten in das Zimmer des Bürgermeisters Dr. Langerhans, erklärte ihm gleichfalls, daß er ihn im Namen Seiner Majestät verhafte, und sagte den beiden Soldaten, die er an der Tür zurückließ: „Eure Instruktion kennt ihr“. Diese, welche seine Weisungen bei Rosenkranz mit angehört hatten, faßten diese Worte – und zwar entsprechend dem Willen des Angeklagten – so auf, daß sie den Bürgermeister zu bewachen und seinen Verkehr nach außen zu verhindern hätten und handelten demgemäß, sodaß der Bürgermeister, ebenso wie Rosenkranz, während der folgenden Zeit seiner Freiheit beraubt und vom Verkehr mit der Außenwelt – außer mit seiner Ehefrau, deren Zutritt der Angeklagte gestattete – abgesperrt war.
Der Angeklagte hat dann noch wiederholt sein Zimmer betreten, und der Bürgermeister hat bei dieser Gelegenheit nochmals Aufklärungen, sowie Vorzeigung eines Haftbefehls verlangt, ist aber damit vom Angeklagten kurz und schroff abgewiesen worden. Dieser eröffnete ihm dabei, er werde ihn mit einem Wagen nach Berlin zur Neuen Wache schaffen lassen, dort werde er Aufklärung erhalten. Der Angeklagte versicherte ihm auch wiederholt, seine Mission sei ihm äußerst peinlich, aber als Militär müsse er den ihm gewordenen Befehl ausführen, er hoffe, daß der Bürgermeister ihm dabei keine Schwierigkeiten machen werde. Er ließ sich von diesem auch das Ehrenwort darauf geben, daß er auf der Fahrt nach Berlin keinen Fluchtversuch machen werde, und hat ihn etwa um 5 Uhr in einer von drei inzwischen durch einen Polizeisergeanten herbeigeholten Kutschen in Begleitung seiner Frau und unter Bewachung eines Soldaten, der neben dem Kutscher auf dem Bock Platz nahm und eines ebenfalls vom Angeklagten mit der Bewachung beauftragten Polizeisergeanten abfahren und nach Berlin zur Neuen Wache schaffen lassen. Erst dort ist nach baldiger Aufklärung des Sachverhalts seine Befreiung erfolgt.
Kurz nach der Verhaftung des Bürgermeisters begab sich der Angeklagte mit zwei Soldaten nach dem Kassenzimmer, wo er den Rendanten von Wiltburg und zwei Assistenten antraf. Dem Rendanten erklärte er, der Bürgermeister und der Oberstadtsekretär seien im Allerhöchsten Auftrage verhaftet. Er habe die Verwaltung der Stadt übernommen, der Rendant solle sofort Kassenabschluß machen und das Geld aufzählen, damit er den Bestand prüfen könne. v. Wiltburg, der den Angeklagten für einen in höherem Befehl handelnden Offizier hielt, erhob keinen Widerspruch, suchte aber doch, als der Angeklagte das Zimmer verlassen hatte, sich mit dem Bürgermeister in Verbindung zu setzen, um dessen Genehmigung zur Vornahme des Kassenabschlusses zu erlangen.
Auf dem Wege dorthin stieß er auf der Treppe auf den Angeklagten, teilte diesem seinen Wunsch, den Bürgermeister zu sprechen, mit, wurde aber von ihm beschieden, daß er jetzt nur seinen, des Angeklagten, Weisungen anstatt denen des verhafteten Bürgermeisters zu folgen habe. Sonst müsse er, der Angeklagte, ihn verhaften und den Kassenabschluß durch andere Beamte vornehmen lassen. v. Wiltburg, der durch bestimmtes Auftreten des Angeklagten nun vollends von der Berechtigung zu den angeordneten Maßregeln überzeugt wurde, ließ darauf durch seine beiden Assistenten die Bücher abschließen, zählte den baren Kassenbestand, zudem noch das auf Anordnung des Angeklagten inzwischen von der Post eingeholte Geld hinzutrat, im Gesamtbetrage von 3988,70 M – einschl. einer Post von 443,25 M in eingelösten Zinsscheinen der Köpenicker Stadtanleihe auf.
Gegenüber dem aus den Büchern festgestellten Sollbestande von 4002,37 M ergab sich zunächst ein Fehlbetrag von 13,67 M, der sich aber demnächst durch 2 Rollen mit 12,- M kleinem Wechselgelde, die der Angeklagte in dem offenen Geldschrank fand, dorther entnahm und zu dem übrigen Bestande legte, auf 1,67 M verringerte. Der Angeklagte bemerkte hierzu, der Fehlbetrag könne auf einem Rechnungsfehler beruhen, müsse aber bei der endgültigen Rechnungslegung, die er morgen vornehmen werde, aufgeklärt werden. Er erklärte ferner, den vorhandenen Bestand müsse er beschlagnahmen, und ließ sich hierzu 2 Beutel bringen, in deren einen er mit Hilfe des Rendanten, der den Beutel hielt, das zuerst aufgezählte Geld, in den anderen ebenso das von der Post geholte Geld einfüllte. Er ließ dann durch v. Wiltburg die Beutel schließen und versiegeln. Die Anleihe-Zinsscheine ließ er liegen, sodaß die von ihm in Besitz genommene Summe
4000,70 M
– 443,25 M
also 3557,45 Mbetrug. V. Wiltburg zeigte dem Angeklagten auch einen außerhalb der Kasse aufbewahrten Bestand von 62,- M Armengeldern, die schon als ausgegeben verbucht, aber von den Empfängern noch nicht abgeholt waren, mit der Frage, ob auch dieses Geld beschlagnahmt werden solle. Der Angeklagte verneinte dies aber, da das Geld nicht zur Kasse gehöre.
Als der Angeklagte die beiden Beutel mit Geld an sich genommen und auch die Schlüssel zum Kassenschranke und zum Tresorraum vom Rendanten übergeben erhalten hatte, wünschte dieser zu seiner eigenen Sicherheit einen Ausweis zu haben und setzte das Band 1 Blatt 16 d.A. befindliche Schriftstück auf, welches folgenden Wortlaut hat:
Quittung.
Empfangen aus der Stadthauptkasse 4000 M 70 Pfg. – Viertausend Mark 70 Pfg., beschlagnahmter Kassenbestand. Köpenick, den 16.Oktober 1906.
Dieses Schriftstück versah der Angeklagte auf die Bitte des Rendanten mit einer Unterschrift und dem Zusatz „H.i.1.G.R.“ (offenbar Abkürzung für „Hauptmann im ersten Garde-Regiment“).
Der in der Quittung angegebene Betrag von 4000,70 M (statt 3557,45 M) erklärt sich dadurch, daß der Rendant versehentlich die vom Angeklagten nicht mit übernommenen Zinsscheine über 443,25 M eingerechnet hat.
Der Angeklagte eröffnete dann dem Rendanten, er müsse als Zeuge mit zur Neuen Wache nach Berlin kommen. Er erlaubte ihm auf seine Bitte, vorher nach Hause zu gehen und seine Frau zu benachrichtigen, gab ihm aber zur Bewachung 2 Soldaten mit. Mit dieser Eskorte ist dann v. Wiltburg von seiner Behausung aus in einem der drei requirierten Wagen, welcher vom Rathaus herbeigeholt wurde, nach Berlin gebracht worden. Dort traf er kurz nach dem Bürgermeister auf der neuen Wache ein und wurde alsbald in Freiheit gesetzt.
Inzwischen hatte sich der Angeklagte, ohne die Geldbeutel – wie der Rendant erwartet hatte – im Geldschrank einzuschließen, sondern unter Mitnahme derselben aus dem Kassenraum entfernt, nachdem er die Tür des Geldschrankes ins Schloß geworfen und die Tür des Tresorraumes unter Beihilfe eines der Kassen-Assistenten verschlossen hatte. Er wartete dann noch die Abfahrt des Bürgermeisters ab, traf nochAnordnungen über die spätere Einziehung der Wachen und die Rückkehr der Mannschaften nach Berlin und ging dann nach dem Bahnhof, wo er ungefähr um 5 ½ Uhr in der Richtung nach Berlin abfuhr. Er stieg in Rummelsburg aus, fuhr mit der Hochbahn in die Stadt, kaufte sich neue Stiefel und im Herrengarderobe-Geschäft von Hofmann, Ecke Friedrich- und Schützenstraße einen Anzug nebst Paletot und Hut für 183,50 M, welche Summe er von dem erbeuteten Gelde bezahlte. In diesem Geschäft nannte er sich, wie er zugibt, „von Malzahn“. Sodann fuhr er in einer Droschke nach dem Bahnhof Hermannstraße in Rixdorf, entledigte sich hier des Säbels, ging sodann auf das Tempelhofer Feld, legte daselbst die Uniform ab und zog die bei Hofmann gekaufte, bisher von ihm in einem Karton mitgeführte Zivilkleidung an.
Zehn Tage später ist er in seiner Wohnung Langestraße 22 verhaftet worden. Das der Köpernicker Stadtkasse gehörige Geld ist in Höhe von 2788 M – also bis auf 769,45 M – vorgefunden und der Stadtverwaltung zurückgegeben.
Hier der Sachverhalt im engeren Sinne. Das Gericht legt hier dar, welchen Sachverhalt es festgestellt und dem Urteil zugrunde gelegt hat.
Der Angeklagte ist auf Grund dieses Sachverhalts des unbefugten Tragens einer Uniform, der Amtsanmaßung, der Freiheitsberaubung, des Betruges und der schweren Urkundenfälschung – alles begangen durch eine und dieselbe Handlung – beschuldigt.
Eine Art Zwischenergebnis, das heute nicht mehr unbedingt üblich ist.
Er gibt die drei ersteren Delikte zu. Dagegen bestreitet er, auf die Erlangung von Geld ausgegangen zu sein. Er will es nur auf ein Auslandspaß-Formular abgesehen haben. Er habe sich nämlich, teils vor teils nach seiner Entlassung aus dem Zuchthause, vergeblich um einen Auslandspaß bemüht. Eines solchen habe er aber nach seiner wiederholten Ausweisung dringend bedurft und er habe erwartet, ein Formular dazu – welches er dann selbst habe ausfüllen wollen – nebst den nötigen Stempeln in dem Rathause einer Stadt vorzufinden. Nur zu diesem Zwecke habe er sich des Köpenicker Rathauses bemächtigt und die leitenden Personen der Stadtverwaltung eingesperrt. Auch die Revision der Kasse habe er nur, um seine Rolle durchzuführen, und in der Annahme, daß er in dem Rendanten den Kämmerer und stellvertretenden Bürgermeister vor sich habe und auch ihn zeitweilig am Eingreifen verhindern müsse, vorgenommen. Das Geld habe er zunächst gar nicht in der Absicht der Aneignung an sich genommen, sondern es sei ihm durch den Gang der Ereignisse gewissermaßen aufgedrängt worden. Er habe es aber zunächst nur vorübergehend verwahren wollen und sich zur Mitnahme und Aneignung erst zuletzt entschlossen, als ihm – gelegentlich der Vorzeigung eines Passes seitens eines im Rathause zurückgehaltenen und um freies Durchpassieren bittenden Elektrotechnikers eingefallen sei, daß solche Pässe nicht bei den Polizeiverwaltungen kleiner Städte, wie Köpenick, sondern auf den Landratsämtern ausgestellt werden, und daß er also gar nicht darauf rechnen könne, Paßformulare im Rathaus vorzufinden. Nunmehr habe er allerdings, um wenigstens einen anderen Erfolg davonzutragen, sich entschlossen, das von ihm bis dahin nur in Verwahrung genommene Geld für sich zu behalten. – Er gibt also statt der Beschuldigung des Betruges nur eine Unterschlagung zu.
Ferner bestreitet er die Urkundenfälschung, und zwar selbst eine einfache, weil er gar keine Namensunterschrift unter die Quittung gesetzt habe, sondern die Schrift lediglich in abgekürzten Lettern bedeuten solle: „von mir als angenommenen Hauptmann im 1.Garde-Regiment“.
Die Einlassung des Angeklagten. Das Gericht gibt hier wieder, was er selbst zu den Anschuldigungen gesagt hat.
Das Gericht hat sich jedoch bei der rechtlichen Beurteilung der Vorgänge überall der Auffassung des Eröffnungsbeschlusses angeschlossen. Das Vorliegen der Übertretung – unbefugtes Tragen einer Uniform – bedarf keiner Erörterung.
Ferner hat sich der Angeklagte, auch wenn die Stellung eines Offiziers sich nicht als ein öffentliches „Amt“ darstellen und als die Anmaßung eines solchen nicht anzunehmen sein sollte, des Vergehens gegen § 132 StGB. doch mindestens nach der Richtung hin schuldig gemacht, daß er Verhaftungen, also Handlungen, welche nur auf Grund eines öffentlichen Amtes vorgenommen werden können, sowie eine Kassenrevision, welche ebenfalls nur auf Grund eines solchen Amtes, nämlich von den Vorgesetzten des Stadtrendanten bewirkt werden durfte, ausgeführt hat.
Des weiteren hat sich der Angeklagte an dem Bürgermeister Langerhans, dem Oberstadtsekretär Rosenkranz und dem Rendanten v. Wiltburg der Freiheitsberaubung schuldig gemacht, indem er ohne Berechtigung die beiden ersteren in ihren Zimmern unter militärischer Bewachung gefangen hielt, sodann den Bürgermeister und den Rendanten durch Soldaten im Wagen nach der Neuen Wache in Berlin transportieren ließ, also einige Zeit hindurch die persönliche Freiheit dieser drei Männer völlig aufhob.
Was den Betrug anlangt; so ist zunächst die Angabe des Angeklagten, er habe es ursprünglich nur auf die Erlangung eines Paßformulars abgesehen, gänzlich unglaubwürdig. Allerdings hatte der Angeklagte ein Interesse daran, sich einen Paß für das Ausland zu verschaffen, er hat sich um Erteilung eines solchen bemüht, und dies ist ihm dadurch, daß er von einer Behörde an die andere verwiesen wurde, erheblich erschwert worden. Allein es erscheint ausgeschlossen, daß der Angeklagte eines derartigen immerhin geringfügigen Erfolges wegen jene überaus umständlichen und auch ziemlich kostspieligen Vorkehrungen getroffen und den umfangreichen Apparat der Überwältigung einer ganzen Stadtverwaltung ins Werk gesetzt haben soll, der – auch in Ansehung der damit verbundenen Gefahren – außer aller Verhältnisse zu jenem Zwecke stand. Auch hat der Angeklagte während der gesamten Zeit, als er das Rathaus besetzt hielt, keine Schritte getan, um nach Paßformularen Nachschau und Nachsuche zu halten. – Dagegen ergibt sein ganzes planmäßiges Verhalten den Kassenbeamten gegenüber und namentlich dievon ihm veranlaßte Einfüllung des Geldes in Beutel, daß er es von vornherein auf die Barbestände der Stadtkasse abgesehen hatte und nicht etwa erst nachträglich den Entschluß gefaßt hat, sich diese anzueignen.
Schließlich sprich auch die Vergangenheit des Angeklagten, insbesondere der seiner letzten Vorstrafe zu Grunde liegende Einbruch in die Gerichtskasse zu Wongrowitz durchaus für seine von vornherein auf das Geld gerichtete Absicht.
Was nun die rechtliche Beurteilung der Erlangung des Geldes betrifft, so liegt nicht Raub oder Diebstahl vor, da es an einer ohne den Willen des bisherigen GewahrsamsInhabers erfolgten Besitzergreifung also an einer Wegnahme fehlt. Das Geld ist vielmehr nach der obigen Sachdarstellung mit dem Willen und unter tätiger Mitwirkung des Rendanten v. Wiltburg, der bis dahin den Gewahrsam ausgeübt hatte, in den Gewahrsam des Angeklagten übergegangen, es ist ihm übergeben. Wäre nun der Wille des v. Wiltburg zur Übergabe durch Zwang (Gewalt oder Drohung) hervorgebracht worden, so würde Erpressung vorliegen. Dies ist aber nicht der Fall gewesen. Zwar würde der Angeklagte nötigenfalls zur Gewaltanwendung geschritten sein; dies erwies sich aber nicht als erforderlich, da v. Wiltburg – was auch bei dem sicheren und sachgemäßen Auftreten des Angeklagten und der Mitführung der Mannschaften erklärlich ist – ihn für einen echten Offizier hielt und ihn auf Grund seiner Erklärung, er handle auf Allerhöchsten Befehl, für berechtigt erachtet, die Übergabe der Kasse behufs Beschlagnahme zu verlangen. Der Angeklagte hat also schon allein durch Täuschung – Vorspiegelung der falschen Tatsachen seiner Eigenschaft als Offizier und den ihm gewordenen Allerhöchsten Befehls – sein Ziel, die Auslieferung des Kassenbestandes, erreicht. Diese Täuschung hatte die Beschädigung des Vermögens der Stadtgemeinde Köpenick zur Folge, da der Angeklagte das Geld sich aneignete und mitnahm. – Daß er bei der Täuschung und Schädigung in Erstrebung eines rechtswidrigen Vermögensvorteiles handelte, bedarf keiner Erörterung.
Der Angeklagte hat sich auch einer schweren Urkundenfälschung schuldig gemacht. Die von ihm herrührende Namensunterschrift unter der von dem Rendanten entworfenen Quittung ist zwar auf den ersten Blick schwer leserlich, wird jedoch deutlich als Namenszug „v. Malzahn“ kenntlich, wenn damit die Tatsache in Verbindung gebracht wird, daß sich der Angeklagte noch an demselben Abend beim Einkauf der Zivilkleidung diesen Namen beigelegt hat. Der Angeklagte hat also unter dem ihm nicht zukommenden Namen v. Malzahn eine Quittung über den Empfang von Geld ausgestellt und somit eine falsche Urkunde angefertigt. Da die Ausstellung derartiger Quittungen nicht zu den dienstlichen Verrichtungen eines Offiziers gehört, sie also – im Falle ihrer Echtheit – nicht von einer öffentlichen Behörde innerhalb der Grenzen ihrer Amtsbefugnisse oder von einer mit öffentlichem Glauben versehenen Person innerhalb des ihr zugewiesenen Geschäftskreises aufgenommen sein würde, so stellt sie sich nicht als öffentliche, sondern als Privaturkunde dar. Diese Privaturkunde ist zum Beweise von Rechten erheblich, da sie – wiederum ihre Echtheit vorausgesetzt – den Beweis für den Empfang der darin bezeichneten Geldsumme durch den darin genannten Empfänger erbringen würde. Der Angeklagte hat von dieser falschen Urkunde zum Zweck der Täuschung Gebrauch gemacht, da er sie dem Rendanten v. Wiltburg zur Täuschung über seine Identität eingehändigt hat. Er hat die Fälschung begangen und angewendet, um sich den soeben durch den Betrug erlangten, aber in seinem Fortbestande gefährdeten Gewinn, den er durch Besitznahme des Geldes erlangt hatte, zu erhalten. Denn er mußte alles vermeiden, was die Beamten hätte stutzig machen, ihnen einen Zweifel an der Echtheit der von ihm gespielten Rolle erregen und seine vorzeitige Entlarvung hätte herbeiführen können. Dazu gehörte auch, daß er dem an sich ganz berechtigten Ersuchen des Rendanten, ihm der Ordnung halber einen Ausweis über die zur vermeintlichen Beschlagnahme übergebenen Summe zu erteilen, nicht entzog. Die Urkundenfälschung ist also von dem Angeklagten mit dem erschwerenden Momente der Absicht begangen, sich einen Vermögensvorteil zu verschaffen (Vgl. Entsch. des R.G. 2, 53).
Daß der Angeklagte bei der Anfertigung und dem Gebrauche der falschen Urkunde in rechtswidriger Absicht handelte, folgt schon ohne weiteres daraus, daß der Vermögensvorteil, den er sich hierdurch zu erhalten bestrebt war, ein rechtswidriger war.
Das Gericht hat nun die rechtlichen Bestimmungen auf den festgestellten Sachverhalt angewandt und zunächst einmal entschieden, welche Straftaten hier verwirklicht wurden.
Sämtliche fünf Vergehungen des Angeklagten beruhen nach der ganzen Sachlage auf einem einheitlichen verbrecherischen Entschluß. Er hat vor dem Beginne seines Unternehmens seinen Plan bis in jede Einzelheit ausgearbeitet. Der Gebrauch der Uniform, die Vornahme amtlicher Handlungen, die Freiheitsberaubungen dienten zur Durchführung der betrüglichen Erlangung des Geldes. Auch hat er von vornherein mit der Möglichkeit der Erteilung schriftlicher Ausweisung gerechnet und sich hierfür den Namen v. Malzahn zurechtgelegt. Denn dieser Name hat sich sofest in seinen Gedanken eingeprägt, daß er ihn sogar noch nach gelungener Tat bei dem Einkauf der Civilkleidung gebraucht hat, ein Zeichen dafür, daß die – sei es schriftliche sei es mündliche – Benutzung dieses Namens zu dem von vornherein festgelegten und auch auf eventuelle Urkundenfälschungen sich erstreckende Programm des Angeklagten gehörte.
Hiernach handelte es sich bei dem gesamten festgestellten Tun des Angeklagten einschl. der Urkundenfälschung um eine und dieselbe strafbare Handlung.
Wie oben schon erwähnt handelte es sich um eine einzelne rechtliche Handlung, die aber gegen fünf verschiedene Strafgesetze verstößt. Den Begriff der „einen“ Handlung darf man dabei nicht allzu wörtlich nehmen. Natürlich sind es verschiedene Handlungen, wenn man bspw. erst eine Uniform anlegt, dann den Bürgermeister verhaftet und anschließend die Kasse herausverlangt.
Da aber diese ganzen Handlungen nur Facetten eines einheitlichen Plans waren, wurde dies alles auch als einheitliche Handlung interpretiert.
Das Gericht hat daher für tatsächlich festgestellt erachtet:
daß der Angeklagte zu Plötzensee und Köpenick am 16. Oktober 1906 durch ein und dieselbe Handlung
1. unbefugt eine Uniform getragen,
2. unbefugt Handlungen vorgenommen hat, welche nur kraft eines öffentlichen Amtes vorgenommen werden dürfen,
3. vorsätzlich und widerrechtlich den Bürgermeister Langerhans, den Stadtkassenrendanten v. Wiltburg und den Obersekretär Rosenkranz des Gebrauchs der persönlichen Freiheit beraubt hat,
4. in Absicht, sich einen rechtswidrigen Vermögensvorteil zu verschaffen, das Vermögen der Stadtgemeinde Köpenick dadurch um 3557,45 M beschädigt hat, daß er durch Vorspiegelung falscher Tatsachen einen Irrtum erregt,
5. in rechtswidriger Absicht eine Privaturkunde, welche zum Beweis von Rechten und Rechtsverhältnissen von Erheblichkeit ist fälschlich angefertigt und von derselben zum Zwecke einer Täuschung Gebrauch gemacht hat, und zwar in der Absicht, sich einen Vermögensvorteil zu verschaffen.
Hier werden die gesamten Tatbestände mit den Worten des Gesetzes wiedergegeben.
Der Angeklagte hat sich daher gegen §§ 360, 8, 132, 263, 267, 268 Str.G.B vergangen. Gemäß § 73 des. war die Strafe dem § 268 als dem strengsten Strafgesetze zu entnehmen.
Das Ganze nun noch einmal als Paragraphen ausgedrückt.
Weil die ganzen Straftaten nur eine Handlung darstellten, war nur eine Strafe zu verhängen, und zwar aus dem höchsten Strafrahmen dieser Straftaten.
Es fragte sich, ob das Vorhandensein mildernder Umstände anzunehmen sei. Dagegen spricht außer den schweren Vorstrafen des Angeklagten, daß die Tat eine überaus raffinierte und einer ganz ungewöhnlichen verbrecherischen Energie entsprungen ist. Sie stellt sich als ein äußerst dreister Eingriff in die militärische Kommandogewalt des Staates und als ein verwegener und gefährlicher Angriff auf die Verwaltung einer Stadt dar.
Aber andererseits verdiente eine weitgehende Berücksichtigung der Umstand, daß der Angeklagte nach Verbüßung seiner letzten Strafe ernst und – soweit an ihm lag – erfolgreich bemüht gewesen ist, sich seinen Lebensunterhalt ehrlich zu erwerben, und auf dem besten Wege war, ein nützliches Mitglied der bürgerlichen Gesellschaft zu werden, daß aber dieses Bemühen ohne seine Schuld vereitelt und er wieder auf den Weg des Verbrechens gedrängt ist.
„Mildernde Umstände“ gibt es unter diesem Begriff heute nicht mehr im Strafgesetzbuch. Stattdessen gibt es den „minder schweren Fall“. Die mildernden Umständen führten früher dazu, dass nicht nur die Straflänge bei Freiheitsstrafen sank, in erster Linie wurde damit auch Gefängnis statt Zuchthaus verhängt.
Interessant ist hier, dass das Gericht sein eigenes Bemühen um Wiedereingliederung in die Gesellschaft positiv honorierte. Dies mag durchaus damit zusammenhängen, dass die Sache damals eine immense Aufmerksamkeit gefunden hat. Neben den Medien soll auch der deutsche Kaiser, der zugleich preußischer König und damit oberster Dienstherr der Richter war, seine Freude an der Geschichte gehabt haben. Das Gericht konnte also durchaus davon ausgehen, dass nicht gerade die allergrößte Schärfe von ihm verlangt wurde.
Ferner wurde erwogen, daß, wenn auch die Strafe auf dem für das Verbrechen der schweren Urkundenfälschung bestimmten Gesetze zu verhängen ist, gerade diese Tat im vorliegenden Falle doch nur eine untergeordnete Bedeutung hatte. Diejenige Tat, welche dem innersten der Sache nach die Hauptsache ist, nämlich der Betrug, war bereits vollendet, die bare Kasse im Besitze des Angeklagten. Tatsächlich würde der Rendant, wie er bekundet, sich auch bei einer Ablehnung der Quittungserteilung seitens des Angeklagten beruhigt haben. Diese Quittungserteilung spielt also, wenn auch der Angeklagte sie für erforderlich gehalten hat, zur Erhaltung des rechtswidrig erlangten Gewinns, in Wirklichkeit die sekundäre Rolle nebenher laufenden Episode. Es entsprach deshalb einer gewissen Billigkeit, auch aus dieser Erwägung heraus in Benutzung der durch § 269 Abs. 2 StGB. gewährten Möglichkeit diejenige Straftat anzuwenden, welche für die eigentliche Haupttat, den Betrug, zu verhängen gewesen wäre.
Dieser Absatz wirft erhebliche juristische Fragen auf.
Zunächst einmal geht das Gericht davon aus, dass zwar eine schwere Urkundenfälschung vorliegt (Strafrahmen: ein Jahr bis fünf Jahre Zuchthaus), dass es dem Angeklagten aber eigentlich nicht um das Fälschen der Urkunde ging, sondern um den Betrug (Strafrahmen: ein Tag bis fünf Jahre Gefängnis). Daher wäre doch ohnehin viel angemessener, hier den Strafrahmen des Betrugs zu nehmen. Um das zu erreichen, werden für die schwere Urkundenfälschung mildernde Umstände angenommen (Strafrahmen nun: ein Monat bis fünf Jahre Gefängnis).
Dies ist unlogisch. Denn der Betrüger, der einfach nur betrügt, ist ein „leichterer Fall“ als der Betrüger, der als Grundlage seines Betruges auch noch falsche Urkunden herstellt. Dieser Ansicht war jedenfalls der damalige Gesetzgeber, der diese Tatbestände getrennt hat und die betrügerische Urkundenfälschung mit einem höheren Strafmaß versehen hat. Hierüber setzt sich das Landgericht aber – offenbar aus Sympathie – hinweg.
Es wird aber noch seltsamer: Denn das damalige Strafgesetzbuch sah einen Straftatbestand des „Betrugs im Rückfall“ vor. Wer mindestens zum dritten Mal wegen Betrugs verurteilt wurde, sollte länger hinter Schloss und Riegel verschwinden. Strafmaß daher ein Jahr bis zehn Jahre Zuchthaus. Wegen eines solchen Diebstahls im Rückfall war Voigt einige Jahre zuvor verurteilt und gerade erst aus dem Zuchthaus entlassen worden. Es wäre also (schon wieder) „zurückgefallen“ und hätte daher noch einmal langjähriges Zuchthaus zu erwarten gehabt.
Diesen Straftatbestand hat die Strafkammer hier unerklärlicherweise komplett übersehen. Aus Unkenntnis ist dies sicher nicht passiert, da es die Berliner Gerichte dieser Zeit andauernd mit Rückfalltätern zu tun hatten und das StGB in der Hinsicht sicher besonders gut kannten.
Wäre auch die Regelstrafe für den Betrug in diesem Falle Zuchthaus, so wäre die Argumentation des Gerichts hinsichtlich des minder schweren Falls der Urkundenfäschung in sich zusammengebrochen: Denn damit gäbe es keinen Grund mehr, anzunehmen, dass auch diese Urkundenfälschung eigentlich nur – wie der Betrug – Gefängnis „wert“ wäre. Denn dieser Betrug wäre eben mit Zuchthaus zu ahnden gewesen.
Man kann schon vermuten, dass auch dieser Teil der Entscheidung mit dem erstrebten Ergebnis einer möglichst milden Verurteilung begründet ist.
Aus diesem Grunde sind mildernde Umstände als vorhanden angenommen und ist deshalb nicht auf Zuchthaus, sondern auf Gefängnis erkannt worden. Für die Abmessung dieser Gefängnisstrafe auf 4 Jahre waren wiederum die oben mitgeteilten teils strafschärfenden, teils mildernden Gesichtspunkte bestimmend.
Eine Erörterung, ob gegen den Angeklagten auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte (§ 32 StGB.) zu erkennen sei, erübrigte sich, da ein solcher bei der letzten Vorbestrafung ausgesprochen ist und noch bis zum Februar 1916 läuft.
Die angeordnete Einziehung beruht auf § 40 StGB.
Die Kostenlast trifft den Angeklagten nach § 497 StGB.
gez. Dietz
gez. Oertel
gez. Schreiber
gez. Buckow
gez. Dr. Blumenrath
Pflichtschuldig die Unterschriften der Richter zum guten Abschluss.