Im gesamten Verwaltungsrecht spielt die Drei-Tages-Fiktion bzw. Drei-Tages-Vermutung für den Zugang von Briefen eine erhebliche Rolle. Diese besagt, dass ein von einer Behörde zur Post gegebener Brief regelmäßig nach drei Tagen seinen Empfänger erreicht hat.
Es besteht also grundsätzlich eine Vermutung, dass ein nachweislich versandtes Schreiben am dritten Tag nach Versendung angekommen ist. Gleichzeitig verbleibt aber die Beweislast bei der Behörde, wenn es Zweifel daran gibt, dass ein bestimmter Brief tatsächlich an diesem Datum zugegangen ist. Sollte der Brief nachweislich früher angekommen sein, wird trotzdem so getan als sei er erst nach drei Tagen angekommen, insoweit besteht also eine echte Fiktion.
Eine derartige Regelung findet sich sowohl im allgemeinen Verwaltungsrecht des Bundes (§ 41 Abs. 2 VwVfG, § 4 Abs. 2 VwZG) als auch im Sozialrecht (§ 37 Abs. 2 SGB X) und im Steuerrecht (§ 122 Abs. 2 AO) sowie in den meisten entsprechenden Landesgesetzen.
Diese Urteilssammlung soll verschiedene Gerichtsentscheidungen darstellen, die sich mit der Anwendung dieser Regel beschäftigt haben.
Bitte beachten Sie: Diese Urteilsbesprechungen können nur einen groben Überblick über rechtliche Konstellationen bieten. Welcher prozessuale Vortrag bei Ihrem Gerichtsverfahren richtig und sinnvoll ist, kann ausschließlich ein Rechtsanwalt nach intensiver Prüfung der Sach- und Rechtslage anraten. Alles, was dem Gericht gegenüber behauptet wird, muss selbstverständlich der Wahrheit entsprechen.
BFH, Urteil vom 14.06.2018, Az. III R 27/17
Wird nicht die „richtige“ Post (Deutsche Post AG) sondern ein privater Postdienstleister eingesetzt, kann die Zugangsvermutung trotzdem anwendbar sein. Dann muss aber geprüft werden, ob dieser so organisiert ist, dass man in der Regel davon ausgehen kann, dass Briefe innerhalb von drei Tagen ankommen.
Hinweis: Man sollte also immer eruieren, welcher Zustelldienst eingesetzt wird. Sofern das nicht bekannt ist, kann man im Prozess die Gegenseite zu entsprechenden Erklärungen auffordern.
VG Cottbus, Urteil vom 25.09.2014, Az. 6 K 831/13
Ist ein Schreiben nachweislich angekommen und nur das Datum fraglich, gilt die Drei-Tages-Vermutung erst recht. Damit von der Vermutung abgewichen wird und die Behörde die volle Beweislast für den Zugang trifft, muss die Vermutung erschüttert werden. Dafür reicht aber nicht einfaches Bestreiten, dass man den Brief an diesem Datum bekommen hat, nicht aus. Es braucht ein „schlüssiges oder jedenfalls vernünftig begründetes Vorbringen“.
In diesem Fall vertrat der Kläger zunächst pauschal die Ansicht, die Vermutung sei nicht anzuwenden. Danach macht er widersprüchliche Angaben dazu, wann er das Schreiben erhalten hatte. Das reichte dem Gericht nicht, um von der gesetzlichen Vermutung abzurücken.
Hinweis: Der Vortrag muss stets in sich konsistent sein. Keinesfalls sollte man taktische Spielchen versuchen, unwahre Tatsachen behaupten oder den Eindruck erwecken, man wolle die Rechtslage „ausnutzen“.
OVG Greifswald, Urteil vom 24.03.2015, Az. 1 L 313/11
Die Drei-Tage-Vermutung setzt voraus, dass die Aufgabe des Briefes und deren Datum feststeht. Ist dies nicht der Fall, läuft die komplette Vermutung leer, auch der Zugang überhaupt wird dann nicht vermutet.
Dafür ist ein Absendevermerk einer Postausgangsstelle erforderlich. Kann die Behörde einen solchen nicht vorlegen, muss das Gericht nach freier Überzeugung beurteilen, ob es den Beweis trotzdem für erbracht hält.
Kann der Ausgang nicht bewiesen werden, scheidet die komplette Zugangsvermutung aus.
Hinweis: Bezüglich der Aufgabe zur Post hat man regelmäßig keinerlei eigene Kenntnisse. Soweit die Behörde also nicht von selbst Informationen dazu liefert, sollte man diese anfordern. Kann sie hierzu keine Details liefern (was gerade im Massengeschäft zugegebenermaßen selten ist), ist dies bereits ein großer Pluspunkt.
BFH, Urteil vom 14.06.2018, Az. III R 27/17
Wer behauptet, einen Brief nicht erhalten zu haben, muss das nachvollziehbar und konkret (substantiiert) vortragen. Dieses Erfordernis eines substantiierten Tatsachenvortrags darf allerdings nicht dazu führen, dass ihn die Beweislast für den Nicht-Zugang trifft. Denn die Behörde muss vielmehr den Zugang beweisen.
Hat der Bürger im Rahmen des ihm Möglichen substantiiert, muss das Gericht nach seiner freien Überzeugung entscheiden, ob Zweifel am Zugang bestehen. Die Voraussetzungen dafür lassen sich nicht allgemein bestimmen, sondern müssen im Einzelfall festgestellt werden.
Hinweis: Hier darf man sich – insbesondere außergerichtlich – nicht von der Behörde entmutigen lassen. Man muss nicht beweisen, dass man den Brief nicht bekommen hat – das ist ohnehin nicht möglich. Vernünftige, sachlich dargelegte Zweifel genügen.
BVerwG, Urteil vom 15.06.2016, Az. 9 C 19.15
Die Behörde trägt das Risiko dafür, wenn sie ein Schreiben mit einfachem Brief statt mit Zugangsnachweis (z.B. Einschreiben oder Postzustellurkunde) verschickt. Wird ein verspäteter Zugang (also nach mehr als drei Tagen) behauptet, kann und muss der Empfänger zumindest die Umstände und das Datum des tatsächlichen Zugangs darlegen. Wird behauptet, dass das Schreiben gar nicht zugegangen ist, kann dagegen gar nichts dargelegt werden. Ist dies glaubhaft, reicht es meist schon, um Zweifel am Zugang zu wecken.
Nicht ausreichend ist es aber, den Zugang mit Nichtwissen zu bestreiten, also einfach vorzutragen, man wisse nicht mehr, ob der Brief zugegangen ist.
Hinweis: Wiederum wird bestätigt, dass vernünftige Zweifel reichen. Diese muss man aber sinnvoll formulieren. Die Aussage „Ich kann mich nicht an den Brief erinnern, also ist er wahrscheinlich nie angekommen“ reicht demnach nicht. Anders könnte das bspw. sein, wenn man (sofern dies auch tatsächlich so ist) darlegt, dass man alle Behördenbriefe sofort in einen Ordner sortiert und dort keiner zu finden ist.
VG München, Urteil v. 05.01.2017 – M 21 K 14.3864
Der Bürger muss einen verspäteten Zugang des behördlichen Schreiben als ernsthaft möglich erscheinen lassen, so dass Zweifel am vermuteten Zugang des Bescheides berechtigt sind. Dafür muss er die ihm möglichen Nachweise dem Gericht vorlegen, insb. den Briefumschlag vorlegen, einen selbstgefertigten Eingangsvermerk vorzeigen, Zeugen benennen oder sich zur Vernehmung anbieten. Die Anforderungen an die Darlegung richten sich nach den Umständen des Einzelfalls.
In diesem Fall reichten die Darlegungen nicht, denn:
- Der Kläger verzichtete auf die mündliche Verhandlung und damit auf seine persönlichen Vortragsmöglichkeiten.
- Im schriftlichen Verfahren äußerte er sich nicht dazu, ob er seinen Briefkasten tägich zuverlässig leert.
- Er verwies auf eine Notiz in seinem Terminkalender, legte diesen aber nicht vor.
Hinweis: Man muss die Möglichkeiten, sich gegenüber dem Gericht auch nutzen. Dazu gehört auch, dass man eine mündliche Verhandlung (auf die man ein Recht hat) verlangt und dort noch einmal persönlich seine Argumente darlegt. Glaubwürdigkeit kann man so viel einfacher unter Beweis stellen als auf dem reinen Schriftweg. Dass Beweise (hier der Terminkalender) nicht vorgelegt wurden, ist kaum verständlich.
VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 18.10.2017, 2 S 114/17
In diesem Fall war eine spezielle Konstellation gegeben: Sie spielte sich im Rundfunkbereich ab. Nach der Rechtsprechung (fast nur) in Baden-Württemberg gilt das VwVfG hier nicht, auch nicht im Bereich der Beitragsverwaltung.
Daher hatte die Behörde (die Rundfunkanstalt) die volle Beweislast und konnte sich nicht einmal auf die Zugangsvermutung berufen. Einen Anscheinsbeweis dafür, dass ein versandter Brief auch zugegangen sein muss, gab es daher aus Sicht des Gerichts nicht. Trotzdem sah es den Zugang aufgrund von Indizien als nachgewiesen an.
Denn der Vortrag des Klägers wurde hier als reine Schutzbehauptung (um den Begriff Lüge zu vermeiden) gewertet. Denn er behauptete pauschal, alle an zwei verschiedene Adressen versandten Gebührenbescheide der Rundfunkanstalt nicht, andere Schreiben der Rundfunkanstalt und des Gerichtsvollziehers aber sehr wohl erhalten zu haben.
Rückläufer zum Absender gab es aber keine. Dies begründete er damit, dass der Beitragsservice wohl seine Adresse nicht in das Adressfenster drucke – was nachweislich falsch ist. Zudem hatte es tatsächlich einige wenige Rückläufer vor einigen Jahren gegeben.
Hinweis: Mit Behauptungen dieser Art macht man sich leicht unglaubwürdig. Wer vorträgt, gerade die unangenehmen Briefe (von diesen dann aber jeden einzelnen) nicht erhalten zu haben, wird den Richter zu der Annahme bringen, alle erhalten zu haben.