Gerichte berufen häufig Sachverständige, um Fachfragen zu klären. Dies geht sogar so weit, dass mittlerweile von Gutachtern als „heimlichen Richtern“ gesprochen wird. Wer dem vom Gericht bestellten Gutachter widersprechen will, kann ein Privatgutachten in Auftrag geben.
In diesem Urteil geht es darum, wie die Rechtsprechung mit solchen Privatgutachten umgeht und wie vor allem das Gericht einen Widerspruch zwischen den Meinungen zweier Sachverständiger auflösen muss.
BGH, Beschluss vom 18.05.2009, IV ZR 57/08
Legt eine Partei ein medizinisches Gutachten vor, das im Gegensatz zu den Erkenntnissen des gerichtlich bestellten Sachverständigen steht, so ist vom Tatrichter besondere Sorgfalt gefordert. Er darf (…) den Streit der Sachverständigen nicht dadurch entscheiden, dass er ohne einleuchtende und logisch nachvollziehbare Begründung einem von ihnen den Vorzug gibt.
Einwände, die sich aus einem Privatgutachten gegen das Gutachten des gerichtlichen Sachverständigen ergeben, muss das Gericht ernst nehmen. Es muss ihnen nachgehen und den Sachverhalt weiter aufklären.
Dazu kann es den Sachverständigen zu einer schriftlichen Ergänzung seines Gutachtens veranlassen. Insbesondere bietet sich die mündliche Anhörung des gerichtlichen Sachverständigen gemäß § 411 Abs. 3 ZPO an. (…) Zweckmäßigerweise hat das Gericht den Sachverständigen unter Gegenüberstellung mit dem Privatgutachter anzuhören, um dann entscheiden zu können, wieweit es den Ausführungen des Sachverständigen folgen will.
Wenn der gerichtlich bestellte Sachverständige weder durch schriftliche Ergänzung seines Gutachtens noch im Rahmen seiner Anhörung die sich aus dem Privatgutachten ergebenden Einwendungen auszuräumen vermag, muss der Tatrichter im Rahmen seiner Verpflichtung zur Sachaufklärung gemäß § 412 ZPO ein weiteres Gutachten einholen.
Link zum Urteil: https://openjur.de/u/72051.html
Diese Ausführungen hat der BGH praktisch wortgleich in zwei weiteren Entscheidungen bis in die jüngste Vergangenheit wiederholt:
Man kann also davon ausgehen, dass es sich dabei um eine weitgehend gefestigte Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs handelt.
Vorgehensweise des Gerichts
Demnach muss das Gericht also wie folgt vorgehen:
- Widersprechen sich die Gutachten?
- Was sagt der Gerichtsgutachter zu den Einwänden des Privatgutachters? Insbesondere:
- Bitte um schriftliche Äußerung
- mündliche Anhörung in der Verhandlung
- Gegenüberstellung der Gutachter in der Verhandlung
- Bestehen auch nach den Anhörungen weiter Widersprüche?
- Gibt es einen nachvollziehbaren Grund, einem der Gutachten den Vorzug zu geben?
- Wenn keine Klarheit erreichbar: Drittes Gutachten einholen
Der Bundesgerichtshof misst einem Privatgutachten also einen recht hohen Stellenwert bei. Das Instanzgericht darf das Gutachten keinesfalls einfach ignorieren, weil es seinem eigenen Sachverständigen mehr glaubt.
Aus Sicht eines Prozessbeteiligten bedeutet dies, dass er